Normalität nach Corona? So wie es war, wird es nie wieder werden

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Dr. Günter Gerhardt schrieb 22 März 2020

Wir werden uns wundern, wenn die Krise vorbei ist.

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Dr. Günter Gerhardt schrieb 22 März 2020

“Wir werden uns wundern, wenn die Krise vorbei ist.”

Christian Meyvon Christian Mey

21.03.2020, 17:14

in #CoronaUpdate, Erleben, Wirtschaft

 

Zukunftsforscher Matthias Matthias Horx, prognostiziert, dass die Welt nach Corona nicht mehr so sein wird, wie sie einmal war. Diese Tiefenkrise verändert den Planeten und das Zusammenleben darauf.

Foto: Zukunftsinstitut

 

Er ist seit Jahrzehnten der renommierteste Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum, ist Gründer des Zukunftsinstituts in Deutschland und Österreich und hat auch schon bei den glück.tagen in Kufstein für ein begeistertes Publikum gesorgt: Schon jetzt zeichnet Matthias Horx eine mögliche Welt nach der Krise, über die wir uns durchaus wundern werden. Eines steht dabei fest: So wie es war, wird es nie wieder werden. 

 

Oft werde er derzeit gefragt, wann Corona denn vorbei sein wird, und alles wieder zur Normalität zurückkehrt. “Niemals”, antwortet Matthias Horx dann unumwunden, “denn es gibt historische Momente, in denen die Zukunft ihre Richtung ändert. Tiefenkrisen nennt das die Zukunftsforschung”. Und genau das durchlebten wir derzeit. “Die Welt wie wir sie kennen, löst sich gerade vor unseren Augen auf”, so Horx. 

Es gibt historische Momente, in denen die Zukunft die Richtung ändert und nichts mehr so sein wird, wie es war. Matthias Horx, Zukunftsforscher

Aber dahinter füge sich bereits eine neue Welt zusammen. Und man könne mit den Methoden der Zukunftsforschung bereits erahnen, wie diese aussehen könne. Das Tool dazu nenne sich RE-Gnose. Es ist sozusagen der Blick aus der Zukunft zurück in unsere Zeit. Das Gegenteil von PRO-Gnose. Eine Methode, mit der bei Visionsprozessen in Unternehmen gute Erfahrungen gemacht wurden. 


Der Blick zurück auf das Gestern von morgen: Heute

Es ist September 2020. Die Krise ist vorbei. Menschen sitzen in den Straßencafes, trinken Wein. Alles scheint wie früher. Und doch gibt es gravierende Unterschiede, die eine neue Zukunft formen: “Wir werden uns wundern, dass die sozialen Verzichte, die wir leisten mussten, selten zur Vereinsamung geführt haben. Im Gegenteil. Nach einer ersten Schockstarre werden wir erleichtert sein, dass es auf den unzähligen Kommunikationskanälen, die wir bedienen mussten, etwas ruhiger wurde”, so Horx. Verzichte müssten nicht unbedingt Verlust bedeuten. Im Gegenteil. “Es ist so ähnlich wie beim Intervallfasten”, zieht Horx einen Vergleich. Danach schmecke das Essen besser, intensiver. Paradoxerweise erzeuge die körperliche Distanz, zu der uns das Virus gezwungen hat, gleichzeitig eine neue Nähe. Wir telefonierten länger, öfter und intensiver mit Freunden. Hörten mehr zu. Bindungen wurden neu gestärkt. Auch die Beziehungen zu unseren Nachbarn haben sich großteils verändert, gebessert. Man ist zusammen gerückt. 

“Wir werden uns wundern, wie schnell sich plötzlich Tele- und Videokonferenzen in den Alltag integrieren, gegen die sich die meisten Kollegen immer gewehrt hatten. Der Business-Flieger war doch besser. Lehrer lernten eine Menge über Internet-Teaching. Homeoffice wurde für viele zur Selbstverständlichkeit. Auch das Improvisieren und das Jonglieren mit Zeit, das damit verbunden ist. 

Menschen, die vor lauter Hektik nie zur Ruhe kamen, machen plötzlich Spaziergänge. Auch junge. Bücher lesen wurde plötzlich zum Kult. Reality Shows wirkten umgehend grottenpeinlich. Der ganze Trivia-Trash, der unendliche Seelenmüll, der durch alle Kanäle strömte. “Nein, er verschwindet nicht völlig”, räumt Horx ein. Aber er verlor rasend an Wert. Das alles seien nur Beispiele, dass sich durch Corona ein massiver Wertewandel vollziehe. 

Krisen wirken vor allem dadurch, dass sie alte Phänomene auflösen und überflüssig machen. Mattias Horx, Zukunftsinstitut

Wir werden uns wundern, dass schließlich doch schon im Sommer Medikamente gefunden wurden, die die Überlebensrate erhöhten. Dadurch wurden die Todesraten gesenkt und Corona wurde zu einem Virus, mit dem wir eben umgehen mussten – ähnlich wie die Grippe und die vielen anderen Krankheiten. Medizinischer Fortschritt half. Aber wir haben auch erfahren: Nicht so sehr die Technik, sondern die Veränderung sozialer Verhaltensformen war das Entscheidende. Dass Menschen trotz radikaler Einschränkungen solidarisch und konstruktiv bleiben konnten, gab den Ausschlag. Wir werden staunen, wieviel Humor und Mitmenschlichkeit in den Tagen des Virus tatsächlich entstanden ist.

Wir werden uns wundern, wie weit die Wirtschaft schrumpfen konnte, ohne dass so etwas wie ein Zusammenbruch tatsächlich passierte. Obwohl es starke Veränderungen gab, kam es nie zum Nullpunkt.  Matthias Horx, Zukunftsinsittut

Wir werden uns wundern, wie weit die Ökonomie schrumpfen konnte, ohne dass so etwas wie »Zusammenbruch« tatsächlich passierte, der vorher bei jeder noch so kleinen Steuererhöhung und jedem staatlichen Eingriff beschworen wurde. Obwohl es einen »schwarzen April« gab, einen tiefen Konjunktureinbruch und einen Börseneinbruch von 50 Prozent, obwohl viele Unternehmen pleitegingen, schrumpften oder in etwas völlig anderes mutierten, kam es nie zum Nullpunkt. Als sei Wirtschaft ein atmendes Wesen, das auch dösen oder schlafen und sogar träumen kann.

Die globale Just-In-Time Produktion mit riesigen verzweigten Wertschöpfungsketten, bei denen Teile über den ganzen Planeten gekarrt werden, hat sich nach der Krise überlebt. Matthias Horx, Zukunftsinstitut 

Heute im Herbst gibt es wieder eine Weltwirtschaft. Aber die globale Just-in-Time-Produktion mit riesigen verzweigten Wertschöpfungsketten, bei denen Millionen Einzelteile über den Planeten gekarrt werden, hat sich überlebt. Sie wird gerade demontiert und neu konfiguriert. Überall in den Produktionen und Service-Einrichtungen wachsen wieder Zwischenlager, Depots, Reserven. Ortsnahe Produktionen boomen, Netzwerke werden lokalisiert, das Handwerk erlebt eine Renaissance. Das Global-System driftet in Richtung GloKALisierung: Lokalisierung des Globalen.

Die Welt wirkt wieder jung und frisch. Und wir sind voller Tatendrang. 

Wir alle kennen das Gefühl der geglückten Angstüberwindung. Wenn wir für eine Behandlung zum Zahnarzt gehen, sind wir schon lange vorher besorgt. Wir verlieren auf dem Zahnarztstuhl die Kontrolle und das schmerzt, bevor es überhaupt wehtut. In der Antizipation dieses Gefühls steigern wir uns in Ängste hinein, die uns völlig überwältigen können. Wenn wir dann allerdings die Prozedur überstanden haben, kommt es zum Coping-Gefühl: Die Welt wirkt wieder jung und frisch und wir sind plötzlich voller Tatendrang.

Coping heißt: bewältigen. Neurobiologisch wird dabei das Angst-Adrenalin durch Dopamin ersetzt, eine Art körpereigener Zukunfts-Droge. Während uns Adrenalin zu Flucht oder Kampf anleitet (was auf dem Zahnarztstuhl nicht so richtig produktiv ist, ebenso wenig wie beim Kampf gegen Corona), öffnet Dopamin unsere Hirnsynapsen: Wir sind gespannt auf das Kommende, neugierig, vorausschauend. Wenn wir einen gesunden Dopamin-Spiegel haben, schmieden wir Pläne, haben Visionen, die uns in die vorausschauende Handlung bringen.

Erstaunlicherweise machen viele in der Corona-Krise genau diese Erfahrung. Aus einem massiven Kontrollverlust wird plötzlich ein regelrechter Rausch des Positiven. Nach einer Zeit der Fassungslosigkeit und Angst entsteht eine innere Kraft. Die Welt »endet«, aber in der Erfahrung, dass wir immer noch da sind, entsteht eine Art Neu-Sein im Inneren.

Mitten im Shut-Down der Zivilisation laufen wir durch Wälder oder Parks oder über fast leere Plätze. Aber das ist keine Apokalypse, sondern ein Neuanfang. Matthias Horx, Zukunftsinstitut 

Der Franz-Josef-Platz in Kufstein am Dienstag, 17. März um 14.15 Uhr.

Jede Tiefenkrise hinterlässt eine Story, ein Narrativ, das weit in die Zukunft weist. Eine der stärksten Visionen, die das Coronavirus hinterlässt, sind die musizierenden Italiener auf den Balkonen. Die zweite Vision senden uns die Satellitenbilder, die plötzlich die Industriegebiete Chinas und Italiens frei von Smog zeigen. 2020 wird der CO2-Ausstoß der Menschheit zum ersten Mal fallen. Diese Tatsache wird etwas mit uns machen.

Wenn das Virus so etwas kann – können wir das womöglich auch? Vielleicht ist das Virus nur ein Sendbote aus der Zukunft. Seine drastische Botschaft lautet: Die menschliche Zivilisation ist zu dicht, zu schnell, zu überhitzt geworden. Sie rast zu sehr in eine bestimmte Richtung, in der es keine Zukunft gibt. “Aber sie kann sich neu erfinden. System reset. Cool down! Musik auf den Balkonen! So geht Zukunft”, schließt Matthias Horx. 

www.horx.com  
www.zukunftsinstitut.at 

The Review

 

Dr. Günter Gerhardt schrieb 10 April 2020

Nach Corona wird nichts mehr so sein, wie es war? Hoffentlich!

Der Zukunftsforscher Matthias Horx zeichnet eine mögliche Welt nach der Korona-Krise, die eine andere sein wird. Er spricht von historischen Momenten, in denen die Zukunft die Richtung ändert und nichts mehr so sein wird, wie es war.
Als jemand, der sich seit Jahrzehnten mit der medizinischen Versorgung von Menschen beschäftig, sei es direkt an der Patienten-Front oder gesundheitspolitisch, hoffe ich inbrünstig, dass er recht hat. Ich vermute mal, dass Herr Horx Verständnis dafür hat, wenn Menschen seine RE-Gnose Methode (Gegenteil von PRO-Gnose), die er als Blick aus der Zukunft zurück in die Gegenwart bezeichnet, für zukünftige Visionsprozesse nutzen. Wir versetzen uns im Frühjahr 2020 in den Herbst 2020 und blicken zurück auf das, was in diesem Zeitabschnitt alles passiert ist bzw. sein könnte. Diese Visionen nutzen wir aber schon jetzt, und nicht erst nach der Krise für Problemlösungen heute und morgen.
Klingt kompliziert, hat mich aber nach mehrmaligem Lesen ermutigt, mithilfe der RE-Gnose schon jetzt „mitten in der Krise“ die Richtungsänderung der Zukunft zu nutzen für die medizinische Versorgung der Menschen in unserem Land.
Sämtliche Talkrunden beschäftigen sich nur noch mit dem Thema SARS-CoV-2. Ganz Deutschland hängt plötzlich an den Lippen der Virologen, Epidemiologen, Infektiologen, Hygienspezialisten…Ärztinnen, Ärzten, Krankenschwestern, Altenpflegern… und wir erleben in den Talkrunden, dass Politiker diesen Helden, wie man sie plötzlich nennt, sogar zuhören und die Bundes- und Landesregierungen den Rat der Expertinnen und Experten nicht nur annehmen, sondern sogar in die Tat umsetzen. Ich reibe mir da schon manchmal verwundert die Augen. Wie sollte die RE-Gnose aussehen? An der Entwicklung von antiviralen Medikamenten und Impfstoffen dran bleiben und nicht auf die nächste Epi-Pandemie warten. Sie kommt bestimmt. Andere Länder wie beispielsweise Singapur sind nach MERS, SARS…dran geblieben, alle Regionen im Land hatten ihre Notfallpläne (in Deutschland nur 20% der Kommunen) und waren so wirklich gerüstet, auch mit Schutzkleidung, Masken und Isolationsräumen für Infizierte. Hausärzte werden als der erste Schutzwall für Krankenhäuser bezeichnet, sollen aber Patienten zuhause besuchen mit Covid19 ohne Schutzkleidung. Vor knapp einem Jahr mussten sie sich noch anhören, dass niemand sie zwingt Kassenarzt zu werden. Markus Söder führte in Bayern die gerade bei Jugendlichen nicht umsetzungsfähige Ausgangssperre ein und suchte sein Heil in einer Änderung des Katastrophenschutzgesetzes: In jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt soll ein „Versorgungsarzt“ eingesetzt werden mit umfassenden Befugnissen. Dieser Versorgungsarzt wird nicht von der KV, sondern vom Landrat oder Bürgermeister bestimmt. Leckt Herr Söder da noch alte Wunden aus einer Zeit als er bayerischer Gesundheitsminister war? Und warum sind im Herbst 2020 – regnostisch – die Versorgungsärzte noch weiter im Amt? Die Beratungen und Empfehlungen der medizinischen Experten haben sich bewährt, die Entscheidung der Bundesregierung, eine in ihren Berufen verbleibende Experten-Kommission aus den Bereichen Forschung, stationäre/ ambulante Versorgung und Patienten fest im Gesundheitsministerium zu  installieren, wird begrüßt. „Schluss mit politischen Entscheidungen aus dem Bauch heraus“ hat es Peter Tschentscher, Arzt und Oberbürgermeister in Hamburg, genannt, mitten in der Krise Ende März 2020.
Wir werden zukünftig sicher sprechen von Zeiten „vor bzw. nach Corona“, die nicht mehr miteinander zu vergleichen sind. Es hat sich etwas Neues entwickelt, eine neue Welt nennt es Matthias Horx, die auch die Medizin erreicht hat. Hätten wir es beispielsweise vor Corona für möglich gehalten, dass die Handyortung, unter Wahrung des Datenschutzes und der Persönlichkeitsrechte, uns hilft Infektionsketten aufzuspüren und zu unterbrechen? Oder dass Ärzte in einer Art Notstands-Gesetz zum Einsatz verpflichtet werden können…im Epidemie-Fall wohlbemerkt!  

 

 

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