Patienten/ Angehörige werden übergriffig

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  • Letzter Beitrag 19 Januar 2020
Dr. Günter Gerhardt schrieb 19 Januar 2020

Verbale und körperliche Angriffe auf Sanitäter, Krankenschwestern und Ärzte nehmen zu. 

Dr. Günter Gerhardt schrieb 19 Januar 2020

Stress in der Notaufnahme

„Sicherheitsgefühl ist nicht mehr gegeben“

Panik-Knopf, Sicherheitsdienst, Deeskalationstraining. Die Kliniken in Hessen müssen sich wehren gegen aggressive Patienten und Angehörige. Am häufigsten eskaliert der Streit in einer Situation.

In den wenigsten Krankenhäusern werden Angriffe systematisch erfasst. Viele Kliniken berichten aber, dass vor allem verbale Gewalt zugenommen habe.
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Schimpfwörter und Fäkalsprache, Schubsen und Spucken. Eine Umfrage unter Frankfurter Kliniken bestätigt, was eine Studie der Hochschule Fulda für ganz Hessen nahelegt: Was sich die Mitarbeiter in den rund 50 Notaufnahmen des Landes gefallen lassen müssen, ist ein Skandal. Die Hessische Krankenhausgesellschaft (HKG) fordert nun, Sozialarbeiter, Mediatoren und Sicherheitspersonal einzusetzen, um das Personal zu schützen. Dass das nötig ist, „muss erkannt und akzeptiert und somit auch finanziert werden“, sagte HKG-Geschäftsführer Prof. Steffen Gramminger der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Man dürfe die Kliniken nicht alleine lassen.

Wie es in den Notaufnahmen zugeht, kann man in der Unterlage B 419 des Frankfurter Magistrats nachlesen. Das Gesundheitsamt hatte die Kliniken der Stadt gebeten, über „Angriffe auf medizinisches Personal in den Notaufnahmen der Frankfurter Krankenhäuser“ zu berichten. Die Ergebnisse wurden im November veröffentlicht. 2020 sollen die Missstände Thema einer Regionalen Gesundheitskonferenz werden; ein Termin dafür steht aber noch nicht fest.

Eine der wenigen Kliniken, die alle Vorfälle genau auflistet, ist die Frankfurter Uniklinik. Sie verzeichnete zwischen März 2017 und Februar 2018 insgesamt 544 Angriffe. Davon waren jeweils rund 18 Prozent nur körperlich oder nur verbal, der überwiegende Teil wurde als „verbale Gewalt mit aggressivem Verhalten“ beschrieben. Im Klinikum Höchst „kommt es nahezu täglich zu verbalen Übergriffen“, wie es in der Antwort heißt. „Der weitaus häufigste Grund sind (gefühlt) lange Wartezeiten.“

„Die Problematik der zunehmenden verbalen und körperlichen Gewalt nimmt zu“

Besonders deutlich wird der Geschäftsführer des Clementine Kinderhospitals, Wolfgang Heyl: „Die Problematik der zunehmenden verbalen und körperlichen Gewalt nimmt zu und verunsichert betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr. Das Sicherheitsgefühl am Arbeitsplatz ist insbesondere in den Bereichen der Notaufnahme nicht mehr gegeben“. Das Personal werde „mit Schimpfworten und Fäkalsprache“ beleidigt, berichtet Heyl. Zum einen seien das alkoholisierte Patienten, zum anderen Eltern mit Kindern, die sich über zu lange Wartezeiten beschwerten, die dritte Gruppe seien „Familienclans“, die mit großer Personenstärke auftauchen und sich „oft in keiner Weise an geregelte Abläufe halten.“

In den wenigsten Krankenhäusern werden Angriffe systematisch erfasst. Viele Kliniken berichten aber, dass vor allem verbale Gewalt zugenommen habe. Die Zahl der körperlichen Angriff ist zum Teil gering: ein Fall, keiner, sehr wenige, nicht bekannt lauten die häufigsten Antworten auf die Umfrage. „Wahrscheinlich gibt es hier eine hohe Dunkelziffer“, heißt es in einer Rückmeldung.

Katharina Hilgert hat 2018 für eine Projektarbeit für den Studiengang „Management Pflege und Gesundheit“ an der Frankfurt University of Applied Sciences Beschäftigte des Bethanien-Krankenhauses befragt. Von den gut 300 Fragebögen kamen 70 zurück - aus allen Bereichen, nicht nur aus der Notaufnahme. Berichtet wurde von Spucken, Schlagen, Festhalten, Bewerfen, Beschimpfen, Begrapschen.

Dass das Thema nicht auf Frankfurt beschränkt ist, zeigt die Umfrage einer Forschungsgruppe der Hochschule Fulda. Erste Ergebnisse wurden Anfang 2018 veröffentlicht. 51 Notaufnahmen in Hessen waren dafür angeschrieben worden, 354 Personen hatten den Online-Fragebogen ausgefüllt. Von ihnen gaben knapp 76 Prozent an, in den letzten zwölf Monaten mindestens eine Form körperlicher Gewalt erlebt zu haben. Bei verbaler Gewalt lagen die Zahlen mit 97 Prozent noch deutlich höher.

Im Notfall lassen die Mitarbeiter „kräftige Männer herbeieilen“

Die Frankfurter Kliniken arbeiten an Strategien, ihr Personal zu schützen. In fast allen werden Mitarbeiter in Deeskalation geschult, einige bieten Selbstverteidigungskurse an. An der Uniklinik wurde ein Panik-Knopf eingebaut, der direkt die Polizei alarmiert. In Höchst wurde die Erreichbarkeit des Sicherheitsdienstes verbessert. 2019 wurde ein neues Notruf-System installiert.

Im Clementine Kinderhospital gibt es keinen Sicherheitsdienst – im Notfall wählen die Mitarbeiter den Hausnotruf, „eigentlich gedacht für lebensbedrohliche Zustände“, wie die Geschäftsführung betont. Oder die technische Abteilung „lässt kräftige Männer herbeieilen“. Dass die Polizei kommen muss und ein Hausverbot verhängt wird, „kommt derzeit etwa alle dei bis vier Wochen vor, in den Jahren zuvor war dies im Schnitt alle drei Monate der Fall“, berichtet Heyl.

Von der Polizei kommt nach Erfahrung anderer Kliniken wenig Hilfe. Die Uniklinik schreibt, man stelle zwar Strafanzeigen, diese würden „aber oftmals mit der Begründung, es bestünde kein öffentliches Interesse, nicht weiterverfolgt“. Die Mitarbeiter scheinen inzwischen einiges gewöhnt zu sein. Das Klinikum Höchst berichtete dem Gesundheitsamt, dass „einfache körperliche Gewalt» (wie z.B. Schubsen oder Anspucken) von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht strafrechtlich verfolgt oder bei den Vorgesetzten angezeigt wird“.

19.01.2020 08:09:13, Autor: Von Sandra Trauner, dpa

 

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